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Freiwilligendienst. Und dann? Interview mit Leon Meyer zu Ermgassen

Verfasst von Jonah Trubbas

Veröffentlicht am 27. November 2020

Leon Meyer zu Ermgassen hat seinen Freiwilligendienst beim Baumhaus-Projekt von 2015 bis 2016 in Peru geleistet. Derzeit studiert er Regionalstudien Lateinamerika in Köln. Gleichzeitig ist er im Vorstand dreier Vereine tätig, unterstützt lateinamerikanische Vertreter*innen indigener Völker und macht auf die Bedeutung des Schutzes indigener Völker aufmerksam.

Lieber Leon, danke, dass du dir für ein Gespräch Zeit nimmst. Mich würde zunächst einmal interessieren, was dich damals motiviert hat, so einen Freiwilligendienst zu machen.

Nachdem ich in der Schule schon drei Jahre lang Spanischunterricht hatte, wollte ich meine Kenntnisse unbedingt vertiefen und sprechtauglich machen; ich finde, dass in der Schule viel zu wenig Wert darauf gelegt wird. Gleichzeitig wollte ich mal eine Zeit lang die Erfahrung machen, in einer anderen Kultur zu leben und von ihr zu lernen.

Du hast nach deinem Freiwilligendienst Regionalstudien Lateinamerika studiert. Hat der Freiwilligendienst dich bei dieser Entscheidung beeinflusst oder war dir schon vorher klar, was du studieren möchtest?

Ganz im Gegenteil. Sicherlich habe ich meine Faszination für den peruanischen und südamerikanischen Kulturraum während meines Freiwilligendiensts mit Baumhaus gewonnen. Allerdings würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nach meinem Dienst eine Idee hatte, wohin die Reise gehen sollte. In dem Jahr nach Peru habe ich deshalb noch nicht angefangen zu studieren, sondern vielmehr die Erlebnisse und Eindrücke des vorangegangenen Jahres sackenlassen, hier und dort meine Fühler ausgestreckt, und über meinen Weg nachgedacht.

„Sicherlich habe ich meine Faszination für den peruanischen und südamerikanischen Kulturraum während meines Freiwilligendiensts mit Baumhaus gewonnen.“

Leon Meyer zu Ermgassen.

Würdest du sagen, das die Entscheidung für dieses Studium letztlich die richtige war?

Auf jeden Fall! Ich hatte mich für verschiedene Studiengänge beworben. Plan A war Politik und Verwaltung, Plan B Politik und Linguistik, und hinten angestellt, mehr als letzte Möglichkeit die Regionalstudien Lateinamerika, für die ich mich auch nur beworben habe, weil der Bewerbungsprozess einfach und unbürokratisch war. Als ich dann als allererstes eine Zusage aus Köln für die Regionalstudien bekam, habe ich mir den Inhalt des Studiums genauer angeschaut: Lateinamerika verbunden mit Politik. Zum Glück habe ich an dem Punkt auf mein Bauchgefühl gehört und den Sprung ins Kalte Wasser gewagt, und schon nach der ersten Uniwoche wusste ich, dass es genau der richtige Studiengang für mich ist.

Kannst du konkrete Erfahrungen deines Freiwilligendienstes bennenen, welche dich nachhaltig beeinflusst haben?

Oh, das ist verdammt schwierig. Ich möchte hier mal versuchen, zwei Momente nachzuzeichnen, die ich besonders in Erinnerung habe. Ganz klar sind auch eine ganze Menge an Ausflügen, Gesprächen und Beobachtungen für mich bis heute von starker Bedeutung.

„An einem meiner ersten Tage war ich gerade auf dem Weg ins Bett. Auf der Leiter zu meinem Zimmer schweifte mein Blick in den wolkenfreien, dunklen Nachthimmel. Das war das erste Mal, dass ich bewusst die tausenden und abertausenden Sterne sah. In dem Moment spürte ich eine unglaubliche Verbundenheit mit der Welt.“

„Der zweite Moment war, als ich Freunde weiter unten im Dorf besuchte und wir gemeinsame ein Schaf schlachteten, ausnahmen, zubereiteten und aßen. Auch hier war es ein ähnliches Gefühl der Verbundenheit mit unserer Umwelt und dem um mich herum.“

 

 Leon und seine Gastoma in Quincemil, Peru

Heute bist du im Vorstand mehrerer Vereine tätig und setzt dich für den Schutz indigener Völker ein. Wie sieht deine Arbeit im Genauen aus?

Die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern ist eine Advocacy-Arbeit. Im Zentrum muss dabei stehen, dass man denen eine Stimme gibt, die sonst oft überhört wurden und werden. Im Konkreten gibt es verschiedene Elemente, welche für mich persönlich im Fokus stehen. Zum Einen tragen wir als KosnumentInnen im globalen Wirtschaftssystem eine Verantwortung. Es sollte mit unsere Aufgabe sein, darauf zu achten, dass unsere Lebensweise keine Menschenrechte verletzt und die Umwelt nicht nachhaltig zerstört wird. Deshalb setze ich mich unter Anderem in einem Koordinierungskreis für eine deutsche Ratifizierung der ILO-169-Konvention (eine Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz von indigenen und in Stämmen lebenden Völkern) und innerhalb der Initiative Lieferkettengesetz (für eine Verpflichtung von Unternehmen zur Einhaltung von menschenrechtlichen und Umweltstandards) auf einer Policy-Ebene ein. Wir sind gemeinsam auf unserem Planeten und es ist wichtig, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, was für einen gewaltigen, unmenschlichen Schaden unser Verbrauch und Lebensstil hier unserer Welt anrichtet.

Ein zweiter und nicht weniger wichtiger Teil der Arbeit ist die bereits angesprochene Advocacy- und Netzwerkarbeit, das Sprachrohr. Oft bringen wir die indigenene Vertreter*innen mit NGOler*innen, Menschen aus Politik und Journalismus, aber gerade international miteinander zusammen, unterstützen oft bei Übersetzungen zwischen Sprachen und Kulturen. Das mag banal und nebensächlich klingen, jedoch ist genau dieses Empowerment oft die Brücke, die gebraucht wird, damit die Stimmen dort gehört werden, wo sie Gehör finden müssen.

Wenn du nochmal entscheiden könntest, würdest du wieder einen Freiwilligendienst mit dem Baumhaus-Projekt machen? Warum?

Ich könnte mir nicht ansatzweise vorstellen, wo ich jetzt wäre und was ich machen würde, wenn ich meinen Freiwilligendienst nicht oder anderswo gemacht hätte. Sicher kann ich aber sagen, dass ich – im Rückblick noch viel mehr als während des Dienstes – sehr dankbar für die Möglichkeit bin, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Ich hoffe, dass es diese Chance in Zukunft weiter geben wird (und dabei meine ich ganz ausdrücklich nicht nur für junge Menschen aus Deutschland). In einer wirtschaftlich globalisierten Welt müssen auch soziale und kulturelle Netze gesponnen werden. Genau dort setzt meiner Meinung das Konzept der Freiwilligendienste an. Gehen wir auch in Zukunft zusammen!

Vielen Dank, Leon!

Das Interview hat Jonah Trubbas durchgeführt.

Interessierst du dich für einen Freiwilligendienst? Hier auf der Website findest du alle nötigen Informationen – auch zum Bewerbungsprozess.

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